Die erste österreichische Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein ist tot. Wie der Verfassungsgerichtshof (VfGH), dem Bierlein rund 16 Jahre angehört hatte, mitteilte, erlag die 74-Jährige am Montag, den 3. 6. 2024 einer kurzen, schweren Erkrankung. Bundespräsident Alexander Van der Bellen zeigte sich tief betroffen, Bierlein habe der Republik in vielen Funktionen treu gedient. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) würdigte, dass Bierlein in einer schwierigen Phase Verantwortung aus Liebe zu ihrer Heimat übernommen habe.

© VfGH/Achim Bieniek

Bierlein gilt als „Pionierin“. Nicht nur war sie erste Regierungschefin, auch am VfGH war die Wienerin die erste Frau, die es ganz an die Spitze schaffte. Sie selbst attestierte sich dereinst einen „gewissen Ehrgeiz“. Die Juristin war nach ihrer Funktion als Generalanwältin bei der Generalprokuratur von 2003 bis 2018 Vizepräsidentin des VfGH und von Februar 2018 bis zu ihrer Ernennung zur Bundeskanzlerin am 3. Juni 2019 Präsidentin des VfGH gewesen.

In diesem Jahr wechselte sie als Chefin eines Expertenkabinetts ins Kanzleramt, als das Land infolge des „Ibiza-Skandals“ politisch gelähmt war. Von Bundespräsident Van der Bellen beauftragt führte sie Österreich in einer Zeit politischer Wirren ohne großes Aufheben in eine Neuwahl und galt dabei in der Bevölkerung als sehr beliebt. Mit dem Ende der Funktion als Bundeskanzlerin beendete sie quasi ihre öffentliche Karriere.

Bierlein, Tochter eines Beamten und einer Künstlerin, verschrieb ihre Karriere der Justiz. In nur vier Jahren hatte Bierlein das Jusstudium absolviert, mit 26 legte sie die Richteramtsprüfung ab, mit 28 Jahren wurde sie zur Staatsanwältin ernannt, mit 41 Generalanwältin, 2003 Vizepräsidentin am VfGH und am 1. Jänner 2018 dessen Leiterin.

In der Justiz war Bierlein schon als Standesvertreterin nicht nur mit ihrer fachlichen Qualifikation, sondern auch mit resolut-selbstbewusstem Auftreten und schnörkellos-geraden Ansagen aufgefallen. 1977 von den Richtern zu den Staatsanwälten gewechselt, engagierte sie sich in der Vereinigung Österreichischer Staatsanwälte und wurde dort 2001 zur Präsidentin gewählt.

Auf diese Funktion musste Bierlein mit dem Eintritt in den VfGH verzichten. Vor dem Wechsel in das Höchstgericht war sie nicht weniger als zwölf Jahre Generalanwältin in der Generalprokuratur, davor in Staatsanwaltschaft und Oberstaatsanwaltschaft Wien tätig.

Neben ihren beruflichen Aufgaben war Bierlein jahrzehntelang in der staatsanwaltlichen Standesvertretung, in der Unabhängigen Opferschutzkommission gegen Missbrauch und Gewalt sowie als Vorsitzende des Aufsichtsrats der Bundestheater-Holding und des Kuratoriums der Stiftung Forum Verfassung tätig. Bierlein galt als Liebhaberin des Theaters und der Malerei.

Van der Bellen: „Wird in Zukunft als Vorbild wirken“

Nach Bekanntwerden von Bierleins Tod gab es zahlreiche Reaktionen aus vielen Bereichen. Bundespräsident Van der Bellen verwies in einer ersten Reaktion via X (Twitter) auf Bierleins Rolle „als Hüterin unserer Verfassung und auch als erste Bundeskanzlerin“. Er habe Bierlein „als mutige, disziplinierte Frau kennengelernt, die Verantwortung übernommen hat, als ihr Land sie gebraucht hat. Sie wird für viele Mädchen und Frauen, für uns alle, auch in Zukunft als Vorbild wirken.“

Nehammer: „Land ist ihr zu großem Dank verpflichtet“

Auch Nehammer zeigte sich in einer Aussendung zutiefst erschüttert. Mit Bierlein verliere Österreich eine herausragende Persönlichkeit und Vorreiterin, die die Republik für Generationen entscheidend geprägt habe: „Sie hat in einer schwierigen Zeit nicht gezögert, Verantwortung zu übernehmen, um der Republik und den Menschen in unserem Land zu dienen.“ Nehammer weiter: „Unser Land ist ihr zu großem Dank verpflichtet.“

Parlamentsspitze tief betroffen

Tief betroffen zeigte sich auch die Parlamentsspitze. Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) nannte Bierlein eine „beeindruckende und außergewöhnliche Persönlichkeit“. Mit ihr verliere Österreich eine der „renommiertesten Verfassungsjuristinnen“, erklärte die Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures (SPÖ). Auch der Dritte Nationalratspräsident Norbert Hofer (FPÖ) würdigte sie als „bemerkenswerte Juristin und Politikerin“, die „in einer schwierigen Phase keine Minute gezögert“ habe, „Verantwortung für ihre Heimat zu übernehmen“.

„Entschlossene Verfechterin des Rechtsstaats“

Von VfGH-Präsident Christoph Grabenwarter hieß es, der Verfassungsgerichtshofs verliere eine unparteiliche ehemalige Präsidentin und einen hochgeschätzten Menschen, Österreich eine entschlossene Verfechterin des Rechtsstaats.

Rechnungshof-Präsidentin Margit Kraker meinte, Bierlein habe Maßstäbe gesetzt und sei eine herausragende Persönlichkeit gewesen. Worte der Trauer kamen auch von den Bundestheatern, fungierte sie doch auch als Aufsichtsratsvorsitzende der Holding.

Auch Kardinal Christoph Schönborn und Erzbischof Franz Lackner als Vorsitzender der Bischofskonferenz bekundeten ihre „große Anteilnahme“. Ein besonderer Dank gebühre Bierlein für ihre langjährige ehrenamtliche Tätigkeit für die Unabhängige Opferschutzkommission, sagte der Kardinal.

Quelle:

1949–2024: Brigitte Bierlein ist tot – news.ORF.at

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