Seit etwas mehr als einem Monat ist die neue Bundesregierung bestehend aus ÖVP, SPÖ und NEOS nun im Amt. Was steht für die drei Koalitionäre am Programm und wie stehen Österreichs Zivilgesellschaft und NGOs dazu? Der Bundespräsident skizzierte große Aufgaben: Es gehe unter anderem darum, den Frieden in Österreich und Europa strategisch abzusichern. Dazu brauche es eine „kluge Friedens- und Verteidigungspolitik“. Nicht nur dafür mahnte Van der Bellen ein neues Miteinander in Europa ein. „Die EU ist eine wirtschaftliche Großmacht. Das scheinen viele inzwischen vergessen zu haben“, sagte Van der Bellen. Zugleich müsse Österreich darin eine „selbstbewusste Rolle“ spielen.

Laut dem Bundespräsidenten gilt es sicherzustellen, dass Österreich wettbewerbsfähig bleibt. Zugleich müsse der soziale Zusammenhalt gestärkt werden. Das heiße auch, sich der digitalen Revolution zu stellen und ihr mit entsprechenden Investitionen zu begegnen.
Veränderung als Chance
Als eine der größten Bedrohungen der Zeit nannte er den Klimawandel, dessen Bekämpfung keinen Aufschub dulde. „Vernünftige“ Regeln will der Präsident von der neuen Bundesregierung in Sachen Migration und Integration. Ferner brauche es eine Stärkung der liberalen Demokratie, die von Populismus und Fake News bedroht sei.
Österreich habe „immer wieder bewiesen, dass es Krisen überwinden und sich erneuern kann“, sagte das Staatsoberhaupt. „Die kommenden Jahre werden von großen Veränderungen geprägt sein.“ Darin liegen laut Van der Bellen aber auch Chancen, die Dinge zu verbessern. Der Regierung wünschte er bei diesen Aufgaben eine „glückliche Hand“. „Wenn Sie Erfolg haben, dann hat Österreich Erfolg“, ist sich Bundespräsident Van der Bellen sicher.
Bundeskanzler Stocker: Migration bis Überwachung
Zu den Schwerpunkten zählte Christian Stocker (ÖVP) den Kampf gegen irreguläre Migration und Missbrauch im Asylsystem, ein verfassungskonformes Kopftuchverbot und den Stopp beim Familiennachzug. Da brachte der Kanzler auch im Bedarfsfall eine Notfallklausel ins Spiel. Zudem soll eine verfassungskonforme Überwachung von Gefährdern kommen. Hier seien SPÖ und NEOS über ihren Schatten gesprungen.
Zudem soll in das Bundesheer investiert werden. Im Sinne des Wirtschaftsstandorts kündigte Stocker eine Mitarbeiterprämie, eine steuerliche Entlastung von Überstunden und – nach budgetären Möglichkeiten – eine stufenweise Senkung der Lohnnebenkosten an. Auch die Landwirtschaft habe Verbesserungen von der Regierung zu erwarten.
Stocker gab ein Bekenntnis zum Klimaschutz ab, aber nicht durch Gebote und Verbote: „Wir setzen auf Klimaschutz durch Technologie und Hausverstand.“ Auch die Bildung wird ein Schwerpunkt der neuen Regierung. Eltern seien aufgefordert zu kooperieren – notfalls mit Sanktionen, so Stocker.
Babler: „Immunsystem der Demokratie stärken“
Auch Vizekanzler Andreas Babler (SPÖ) stellte das Regierungsprogramm als „Kompromiss von konstruktiven Kräften“ dar.
Inhaltlich hob Babler etwa die Bankenabgabe und Steuern auf große Immobiliendeals hervor sowie das zweite verpflichtende Kindergartenjahr und Frauenpolitik, „die den Namen wieder verdient“. Beim Thema Wohnen betonte er auch das Loslösen der Mieterhöhungen vom Verbraucherpreisindex, „damit sich Miete und Inflation nicht mehr gegenseitig anheizen“.
Auch Babler nahm zum Thema Integration Stellung: „Wir wollen, dass Menschen mit anpacken. Wir müssen aber zeigen, wo und wie. Verlieren wir nie aus den Augen, wenn wir von Schutzbedürftigen sprechen, dass es um Menschen geht.“ Im Sinn des Kampfes gegen die Verunsicherung durch Fake News sollen die Medien gestärkt werden. Auch der ORF solle mehr Unabhängigkeit bekommen: „Der ORF gehört zu Österreich wie das Schnitzel, die Sachertorte, Herbert Prohaska und Hans Krankl. Er ist Teil unserer Identität.“
Meinl-Reisinger: „Probleme haben keine Parteifarbe“
„Unser Anspruch war, nicht nur den kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden, sondern an die Grenzen des Umsetzbaren zu gehen“, sagte NEOS-Außenministerin Beate Meinl-Reisinger. Das Regierungsprogramm sei für alle Menschen in Österreich: „Probleme und Chancen haben keine Parteifarbe.“ Auch sie pochte auf Zuversicht und Optimismus: „Angst ist der schlechteste Ratgeber. Zuversicht ist das, worauf wir bauen wollen.“ Man wolle den Menschen den Glauben an die Zukunft zurückgeben.
Einen klaren Konsens aller drei Parteien gebe es bei einem klaren Bekenntnis zu Europa. In ihrer Rolle als Außenministerin ging Meinl-Reisinger auch auf die außenpolitischen Herausforderungen und die Position der Regierung zum Ukraine-Krieg, dem Krieg in Nahost und der Lage in Syrien ein.
Sie betonte aber auch, dass nun Integration vom ersten Tag an gefördert, zugleich aber auch stärker eingefordert werde. Programmatisch hob sie den Nachhaltigkeitsmechanismus bei den Pensionen und Bildung „als Rohstoff, auf dem unser Land aufbauen kann“, sowie die Bundesstaatsanwaltschaft hervor.
Reaktionen von NGOs und Zivilgesellschaft

HOSI Wien: Regierungsprogramm gibt Grund zu Optimismus für LGBTIQ-Menschen
Nationaler Aktionsplan gegen Hassverbrechen, Verbot von Konversionstherapien und Schutz von intergeschlechtlichen Minderjährigen erfreulich – aber Diskriminierungsverbot fehlt. Das neue Regierungsprogramm zeigt sich erfreulich fortschrittlich für Lesben, Schwule, Bisexuelle, transgender, intergeschlechtliche und queere (LGBTIQ-)Menschen. Ann-Sophie Otte, Obfrau der Homosexuellen Initiative (HOSI) Wien, sagt: „Das Programm der neuen Bundesregierung gibt Grund zu Optimismus für die LGBTIQ-Community. Besonders wichtig für LGBTIQ-Menschen ist der geplante Nationale Aktionsplan (NAP) gegen Hassverbrechen. Denn diese sind in den letzten Jahren deutlich angestiegen und bedrohen alle Minderheiten in Österreich.“
SDG Watch Austria: Kooperation mit Wissenschaft stärken

SDG Watch Austria begrüßt Sichtbarkeit nachhaltiger Entwicklung im Regierungsprogramm und fordert jetzt Strukturen für die Umsetzung zu stärken.
SDG Watch Austria begrüßt die Verankerung der Agenda 2030 und der 17 Ziele nachhaltiger Entwicklung der Vereinten Nationen im Regierungsprogramm der neuen Bundesregierung und empfiehlt, auf Mechanismen der ressortübergreifenden Zusammenarbeit und die Kooperation mit Zivilgesellschaft und Wissenschaft zu setzen, um die Ziele systematisch und lösungsorientiert umzusetzen. Gleichzeitig mahnt die Plattform Vorsicht beim Bürokratieabbau ein, um schwerwiegende Schäden an inhaltlich sinnvollen Strukturen und Prozessen zu vermeiden.
Relevant sei es außerdem, an die Vorhaben anzuknüpfen, die Österreich den Vereinten Nationen erst im Juli 2024 in einem 2. Freiwilligen Umsetzungsbericht angekündigt hatte, erklärt Bernhard Zlanabitnig: „Dazu zählen u. a. das Vermeiden einer Verlagerung negativer sozialer oder ökologischer Effekte ins Ausland, Dialogformate mit der Zivilgesellschaft oder die Einbindung der Wissenschaft in die Umsetzung der Agenda 2030, aber auch eine gestärkte bundes- und länderübergreifende Zusammenarbeit.”
„Es ist zentral, die Expertise aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft einzubinden und auf diese aufzubauen, um nachhaltige Entwicklung in Österreich und weltweit zu ermöglichen. Zudem gilt es, die Bedürfnisse der österreichischen Bevölkerung ebenso wie der von Menschen in Ländern des Globalen Südens systematisch zu berücksichtigen. Dazu ist das Stärken von Dialogformaten, direkter Zusammenarbeit und von Partizipationsmöglichkeiten nötig“
, ergänzt Lukas Wank.
Die Plattform SDG Watch Austria, die über 230 zivilgesellschaftliche Organisationen als Mitglieder zählt, setzt sich seit 2017 für eine systematische Umsetzung der Agenda 2030 in Österreich ein und hatte im Herbst einen Forderungskatalog an die verhandelnden Parteien versandt.
Hütten- und Klimaschutzakzente: Naturfreunde Österreich sind zuversichtlich

Die Naturfreunde Österreich zeigen sich erfreut über die Verankerung wichtiger Hütten- und Klimaschutzthemen im neuen Regierungsprogramm. Der Verein sieht darin eine positive Fortsetzung der erfolgreichen Hüttenpetition, die bereits im Herbst 2024 zu einer Sonderdotierung von 3 Millionen Euro geführt hat.
Andreas Schieder, Bundesvorsitzender der Naturfreunde, erklärt: „Das neue Regierungsprogramm stimmt uns sehr zuversichtlich. Wir freuen uns besonders, dass unsere Anliegen im Programm gut verankert wurden, dies bestärkt uns in unseren Bemühungen, den Erhalt unseres alpinen Kulturerbes voranzutreiben.“ Zudem gibt es ein klares Bekenntnis zum Breitensport und zur Entlastung des Ehrenamtes.
Im Regierungsprogramm werden die angeführten Maßnahmen für die alpine Infrastruktur wie folgt beschrieben:
“Der Erhalt von Schutzhütten wird nachhaltig finanziell abgesichert. Ihre naturverbundene Nutzung wird durch enge Kooperationen mit Schutzhüttenvereinen sichergestellt. Eine nationale Schutzhütten-Initiative wird den Erhalt der Schutzhütten unterstützen.
Die Förderung der alpinen Infrastruktur (Schutzhütten, Wegeerhaltung) stellt sicher, dass der alpine Raum weiter für alle zugänglich bleibt.”
Die Naturfreunde betonen die Bedeutung ihrer Arbeit nicht nur für den Umweltschutz, sondern auch für die regionale Wirtschaft: „Unsere Leitprojekte, wie zum Beispiel der Gletscherlehrpfad Kolm-Saigurn, zeigen eindrucksvoll, wie Meinungsbildung und Wissenstransfer zum aktiven Klimaschutz beitragen können“, so Günter Abraham, Bundesgeschäftsführer und Vizepräsident des VAVÖ. Auch das Bekenntnis der neuen Regierung zum Biodiversitätsfonds, zum Green Deal und zur Ökologisierung klimaschädlicher Subventionen wird seitens der Naturfreunde begrüßt. „Im Mittelpunkt steht bei uns der Mensch in seiner nachhaltigen Beziehung zur Natur. Eine Finanzierungsunterstützung hält die alpine Infrastruktur aufrecht und treibt den touristischen Motor an. Wir sehen Bautätigkeiten an Hütten mit den notwendigen Fördermitteln als Maßnahme, das Kulturerbe Österreichs langfristig zu bewahren,“ so Abraham.

Bildungspsychologin: „Eine Muss-Reform ist die Deutschförderung im Kindergarten“
„Lieber weniger machen, aber genau“ – Bildungspsychologin Christiane Spiel sieht das Regierungsprogramm von ÖVP, SPÖ und NEOS grundsätzlich positiv. Im Interview mit dem Standard lobt sie insbesondere die evidenzbasierte Ausrichtung der bildungspolitischen Vorhaben, die weitgehend frei von ideologischen Prägungen seien. Besonders begrüßenswert findet sie die klare Zuordnung des Elementarbereichs zur Bildung sowie geplante Maßnahmen zur Qualitätsentwicklung im Kindergarten, wie kleinere Gruppengrößen, verpflichtendes zweites Kindergartenjahr, frühe Deutschförderung und eine gezielte Elternarbeit.
Personalnot und schlummernde Potenziale
Angesichts der angespannten Budgetlage und des akuten Personalmangels sieht Spiel schlummernde Personalreserven, vor allem im Kindergartenbereich. Rund 70 Prozent der Absolvent*innen der Bildungsanstalten für Elementarpädagogik kehren dem Beruf innerhalb eines Jahres den Rücken – ein Umstand, der laut Spiel auf mangelnde Wertschätzung und schlechte Arbeitsbedingungen zurückzuführen ist. Dieses Potenzial gelte es zu reaktivieren, was deutlich günstiger wäre, als neue Fachkräfte auszubilden.
Auch in den Schulen sieht sie ungenutzte Ressourcen – etwa pensionierte Lehrkräfte, die bereit wären, in Teilzeit zurückzukehren. Diese müssten jedoch respektvoll angesprochen werden, statt wie bisher teils geschehen, abschreckend behandelt zu werden.
Weniger Bürokratie, mehr Wirkung
In Zeiten eskalierender Budgets betont Spiel die Notwendigkeit, ineffiziente Strukturen zu durchforsten. Österreichs Bildungssystem sei teuer, aber in seinen Ergebnissen nur mäßig erfolgreich. Sie fordert eine Priorisierung von Maßnahmen mit hohem Wirkungsgrad – wie etwa die frühe Deutschförderung im Kindergarten oder die Einführung eines Sozialindex, der Schulen ressourcengerecht nach Sozialstruktur unterstützt.
Zudem müsse Bürokratie abgebaut werden, um Ressourcen freizusetzen und das Lehrer*innenpersonal zu entlasten. Spiel sieht darin nicht nur einen finanziellen Hebel, sondern auch einen Beitrag zur besseren Unterrichtsqualität.
Arbeiten im Alter: Neue Koalition plant Flat-Tax für Pensionist:innen
Mit einem 800-Millionen-Euro-Programm setzt die neue Bundesregierung ein starkes Zeichen zur Förderung der Erwerbstätigkeit im Alter. Kernstück ist eine 25-prozentige Flat-Tax für Pensionistinnen und Pensionisten, die zusätzlich arbeiten. Zudem sollen künftig weder sie noch ihre Arbeitgeber Sozialversicherungsbeiträge entrichten müssen. Ziel: Mehr Anreize für ältere Menschen, nach der Pension weiterzuarbeiten – insbesondere für Gutverdiener.
Während das Programm steht, bleiben viele Details offen – etwa die Einkommensgrenzen für die Flat-Tax. Expertinnen wie Christine Mayrhuber (Wifo) sehen darin vor allem einen Anreiz für hochqualifizierte Menschen. Die Maßnahme bringt allerdings einen Systembruch im Steuerrecht mit sich: Für die gleiche Arbeit sollen künftig unterschiedliche Steuerlasten gelten – je nachdem, ob jemand pensioniert ist oder nicht.
Kritiker wie Wifo-Arbeitsmarktexperte Helmut Mahringer bemängeln, dass das Programm an den Ursachen für die geringe Erwerbsquote Älterer vorbeigeht – nämlich an der verbreiteten Altersdiskriminierung durch Unternehmen. Ein Bonus-Malus-System für Arbeitgeber wäre laut ihm effizienter und kostengünstiger gewesen.
Trotz offener Fragen stößt das Programm auf Zustimmung, etwa beim Seniorenbund. Die Regierung plant eine laufende Evaluierung der Maßnahme. Der Start ist für 2026 vorgesehen.
Fiskalratspräsident: Neue Regierung muss sich Thema Pensionen stellen
Zukunftsprojekte seien in den angepeilten Budgetplänen nicht abgebildet, sagt Ökonomie-Professor und Fiskalratspräsident Christoph Badelt. Die Signale, dass das in Österreich anvisierte Sparpaket nicht reichen wird, um ein EU-Defizitverfahren zu vermeiden, verdichten sich. Auch Fiskalratspräsident Christoph Badelt zweifelt daran.
Ohnehin stelle sich abseits der angepeilten Sparpläne jetzt die Frage, was mit Zukunftsprojekten sei. Ein zweites Kindergartenjahr etwa koste Geld, ebenso wie die geplante Reduktion der Lohnnebenkosten. Dämpfen könne man die Ausgabendynamik beim Pensionssystem, das angesichts der demografischen Entwicklung immer mehr in Schieflage gerate. Halten werde die neue Regierung nur, „wenn sie sich konstruktiv mit diesen Fragen beschäftigt“.
Quellen: Dreierkoalition: Neue Regierung angelobt – news.ORF.at | Regierungserklärung: „Kompromiss keine Niederlage“ – news.ORF.at | „Jetzt geht es ums Machen“: Bundespräsident gelobte neue Regierung an – news.ORF.at | HOSI Wien: Regierungsprogramm gibt Grund zu Optimismus für LGBTIQ-Menschen | SDG Watch Austria begrüßt Sichtbarkeit nachhaltiger Entwicklung im Regierungsprogramm – jetzt Strukturen für Umsetzung stärken! | Hütten- und Klimaschutzakzente im neuen Regierungsprogramm: Naturfreunde sind zuversichtlich | Bildungspsychologin: „Eine Muss-Reform ist die Deutschförderung im Kindergarten“ – Bildung – derStandard.at › Inland | Koalition plant Megaprogramm für Arbeiten im Alter. Wer profitiert? – Wirtschaft – derStandard.at › Wirtschaft | Fiskalratspräsident: Neue Regierung muss sich Thema Pensionen stellen – Wirtschaftspolitik – derStandard.at › Wirtschaft