Österreichs Fußballnationalteam hat eine der bittersten Niederlagen in seiner Geschichte zu verarbeiten. Trotz drückender Überlegenheit musste sich die Mannschaft von Teamchef Ralf Rangnick am Dienstag der Türkei mit 1:2 (0:1) geschlagen geben und verpasste es, erstmals in ein EM-Viertelfinale einzuziehen. Im Regen von Leipzig vergossen die Fußballer viele Tränen und präsentierten sich am Boden zerstört. Die Art und Weise des Ausscheidens tat weh.
Österreich gab 21 Torschüsse ab, die Türkei nur sechs, aber am Ende stand es dennoch 1:2. Zweimal trafen die Türken nach einer Ecke, das erste Mal bereits nach 57 Sekunden. Das ÖFB-Team fand ausreichend Chancen auf den Ausgleich vor, doch der leidenschaftlich verteidigende Gegner brachte den Sieg über die Zeit. Auch weil Türkei-Goalie Mert Günok eine herausragende Abwehr gegen Christoph Baumgartner gelang, ehe der Schlusspfiff das Feld in Jubel und Trauer teilte.
„Das ist sicher einer der traurigsten Tage in meinem Leben. Ich bin sehr, sehr enttäuscht. Ich tu mir sehr schwer, die richtigen Worte zu finden“, sagte etwa Baumgartner. „Es ist einer der schlimmsten Fußballabende, die ich erlebt habe“, meinte Michael Gregoritsch. „Es ist sehr bitter, es ist Wahnsinn. Dass wir so rausgehen aus dem Spiel, das ist brutal“, meinte Marko Arnautovic, der seinen möglichen Abschied vom Nationalteam andeutete („Kann sein, dass es das war“).
Auch Rangnick verstand die Fußballwelt nicht mehr. „Wenn man sieht, was wir heute alles in dieses Spiel investiert haben und wie viele Torchancen wir ausgelassen haben, dann fühlt sich das Ganze schon ziemlich grotesk und surreal an. Ich glaube nicht, dass die Mannschaft gewonnen hat, die über das gesamte Spiel die bessere Mannschaft war. Ich kann es selber noch nicht glauben, dass wir tatsächlich die Heimreise antreten. Es fühlt sich sinnlos und unverdient an.“
„Viele haben geweint“
Österreichs Spieler waren nach der Partie nicht zu trösten. „Viele haben geweint, ich auch“, sagte Gregoritsch im ORF-Interview und gab Einblick in die Kabine. „So hätte es nie zu Ende gehen dürfen. Nach den zwei Jahren ist das der schlimmste Weg, so auszuscheiden“, sagte der Stürmer, dem sein Anschlusstreffer am Ende nichts bedeutete. „Das ist von der Fußballtragik her nicht zu überbieten“, so Gregoritsch.
Anders wäre es gewesen, wenn Baumgartner noch den Ausgleich erzielt hätte. Dieser sank nach Schlusspfiff auf den Boden und weinte bitterlich. Noch auf dem Spielfeld versuchte „Non-playing Captain“ David Alaba seinen Teamkollegen aufzumuntern. „David hat gesagt, dass solche Momente einen stärker machen. In solchen Momenten ist es schwer, irgendwas anzunehmen, weil die Enttäuschung so groß ist.“
Zwei Vorwürfe
Rangnick ging es nicht anders, er wusste aber auch, dass es nicht nur am fehlenden Glück an diesem Abend lag. „Der eine Vorwurf, den wir uns machen können, ist, dass wir aus den Chancen zu wenig gemacht haben. Beim 6:1 im März hatten wir weniger klare Chancen als heute. Außerdem haben wir bei den Standards nicht gut verteidigt. Das erste war ein halbes Eigentor, beim zweiten hatten wir unsere kopfballstärksten Spieler in diesem Bereich“, analysierte der Teamchef.
Baumgartner vergab einige gute Möglichkeiten, aber vor allem Arnautovic hatte kurz nach der Pause die Riesenchance alleine vor Günok. Gregoritsch kam als „Joker“ und fand auch Möglichkeiten vor, eine nützte er, insgesamt war es zu wenig. „In einem K.-o.-Spiel müssen wir Chancen nützen, das haben wir nicht hinbekommen“, so der Steirer. Rangnick betonte: „Im Play-off geht es darum, Spiele zu entscheiden.“
Österreichs Spiel selbst sah Rangnick zwiegespalten. „Wir hatten nach dem 0:1 gleich drei Chancen, auszugleichen oder sogar in Führung zu gehen. Da haben wir dominiert. Dann hatten wir eine Phase, in der wir keinen Zugriff hatten, haben das geändert. Die zweite Hälfte haben wir dominiert, die Türken waren heilfroh, als das Spiel zu Ende war.“
Günok macht auf Gordon Banks
In der letzten Aktion klärte Türkei-Tormann Günok sensationell gegen Baumgartner. Der Leipzig-Legionär hatte eine Wöber-Flanke gegen die Laufrichtung des Schlussmannes geköpfelt, dieser fischte den Ball aber noch aus dem Tor. Nicht nur englische Berichterstatter im Stadion fühlten sich an Gordon Banks und dessen Parade gegen Pele bei der WM 1970 erinnert. Auch ORF-Experte und Ex-Tormann Helge Payer sagte: „Das war eine Weltklasseparade, die Parade des Turniers, ich habe keine zehn besseren Paraden gesehen in meinem Leben.“
Baumgartner würde nichts anders machen. „Ich würde ihn zehnmal noch so köpfeln, gegen die Laufrichtung, Boden auf. Er hält ihn überragend. Ich glaube, ich mache nicht so viel falsch. Es hat heute einfach nicht sollen sein.“ Rangnick schlug in dieselbe Kerbe: „Wir hatten heute sicherlich nicht das notwendige Glück, das es auch braucht. Sonst wäre der Ball in der letzten Sekunde reingegangen. Dann hätten wir das Spiel auch gewonnen, ich hatte das Gefühl, die Türken waren am Ende. Da hatten wir körperliche Vorteile.“
Türkei nimmt erfolgreich Revanche
So jubelten die Türken am Ende ausgelassen mit ihren Fans und dürfen sich auf ein Viertelfinale in Berlin gegen die Niederlande freuen. Mit leidenschaftlichen Fans, die eine Heimspielatmosphäre erzeugten, im Rücken verteidigten die Türken, was möglich war. „Ich bin sehr stolz auf die Mannschaft, welchen Teamgeist sie gezeigt hat. Es ist fantastisch, wenn man das als Trainer sieht“, sagte Vincenzo Montella.
Der italienische Coach hatte auch erfolgreich die Lehren aus dem 1:6-Testspieldebakel gezogen, wobei die Mannschaft damals viel zu hoch verlor. Doch die grandios getretenen Ecken von Real-Jungstar Arda Güler in den Fünfer halfen ebenso wie das kompakte Verteidigen. Und am Ende spielten die Emotionen nach dem 1:6 eben doch eine Rolle. „Wir wurden sehr kritisiert nach den Freundschaftsspielen, aber wir als Fußballer sind sehr wettbewerbsorientiert. Ich wollte dieses Resultat (1:6) ändern, es war ein großer Makel in meiner Karriere.“ Mit einem Makel der anderen Art muss nun das ÖFB-Team umgehen.
Quelle: