Der erstmals mit 1,7 Millionen Euro höchstdotierte Wissenschaftspreis des Landes, der Wittgenstein-Preis des FWF, geht 2024 an den Pflanzenbiologen Jiri Friml. Sein Hauptinteresse gilt der Erforschung des Hormons Auxin, das eine zentrale Rolle in der Regulierung von Wachstum und Entwicklung von Pflanzen spielt.

© FWF/Luiza Puiu

Der am Institute of Science and Technology Austria (ISTA) in Klosterneuburg (NÖ) tätige, aus Tschechien stammende Friml sei „ein Pionier auf dem Gebiet der Pflanzenbiologie, insbesondere in der Frage, wie das Hormon Auxin als das wichtigste koordinative Signal zur Regulierung von Pflanzenwachstum und -entwicklung funktioniert“, heißt es in der Begründung der Jury. Man ehre hier einen der „kreativsten Forscher auf einem Gebiet, in dem Österreich eine führende Rolle spielt. Er ist eine treibende Kraft in der globalen Pflanzenbiologie.“

Zum fundamentalen Verständnis der pflanzlichen Entwicklung, zur Organisation ihres Wachstums und ihrer Heilungsprozesse konnten Friml und sein Team in den vergangenen 25 Jahren tatsächlich viel beitragen. Seit dem Jahr 2012 treibt der zweifache Familienvater diese Arbeiten am ISTA voran – auch unterstützt durch seinen ihm im Frühling zuerkannten zweiten „Advanced Grant“ des Europäischen Forschungsrates (ERC) und nun den Wittgenstein-Preis.

„Pflanzen sind Außerirdische“

„Pflanzen sind Außerirdische“, erklärt der 50-jährige Friml im Gespräch mit der APA. Von der tierisch-menschlichen Biologie unterscheide sie nämlich unglaublich viel, da sich diese beiden Zugänge zum mehrzelligen Leben unabhängig voneinander entwickelt haben. In der Welt der Wissenschaft sei die Aufmerksamkeit allerdings höchst ungleich verteilt, so der Preisträger, obwohl sehr viele grundlegende Entdeckungen wie die erste Beobachtung von Zellen, Genen und zur Epigenetik an Pflanzen gemacht wurden. Man befinde sich zwar ein Stück weit „an der Peripherie der Wissenschaft“, aber: „Es ist nicht so, dass ein paar Verrückte da einfach an grünem Zeug arbeiten.“

Im Zentrum seines Interesses steht das Pflanzenwachstumshormon Auxin: „Es ist das einzige Pflanzenhormon, das sich gerichtet durch die Zellen bewegt“, so Friml: „Nimmt man den Stängel her, wird Auxin immer nach unten fließen.“ Mit diesem von speziellen Proteinen organisierten Transport befasste sich der Forscher zuallererst.

In zahlreichen Publikationen in hochrangigen Fachjournalen konnte der vielfach Ausgezeichnete zeigen, dass die asymmetrische Verteilung der Transporterproteine in den Zellen und die Veränderung selbiger, etwa durch die Schwerkraft oder Lichteinstrahlung, entscheidend für das Wachstum sind. Hier handle es sich um einen „universellen Mechanismus, wie die Pflanze auf verschiedene Reize antwortet“, erklärt Friml.

„Auxinflüsse statt Nervenfasern“

In weiterer Folge stellte er fest, dass auch die Embryo- und Organbildung über die Verteilung von Auxin gesteuert wird. Wo also am Baum ein neues Blatt wächst, wird über diese Prozesse organisiert und festgelegt. „Es ist wie ein Nervensystem, wo wir statt Nervenfasern die Auxinflüsse haben“, betont der Wittgenstein-Preisträger. Mit den neuen Förderungen möchte er weiter aufklären, „was in den einzelnen Zellen passiert“, wenn sich der Auxingehalt ändert – „wie also die Auxinsignale individuell umgesetzt werden“.

„Die zweite große Richtung ist das Verstehen der Evolution der Pflanzen“, sagt Friml. So weiß man zwar, dass es Auxin auch in einfachen Algen gibt, in denen es nur einen Zelltyp gibt. Was das Hormon dort tut und wie es später zum so zentralen Akteur in der Entwicklung komplexer Pflanzen wurde, sei jedoch offen.

Noch viel zu entdecken

Insgesamt gebe es im Bereich der Pflanzen noch sehr viel zu entdecken. Dieser erfahre traditionell weniger Aufmerksamkeit, weil er u. a. medizinisch wenig relevant ist. Sehe man sich an, wohin Forschungsgelder fließen, dann sei die Verteilung in Europa sehr ungleich. Das spiegle auch gesellschaftliche Ängste wider, wo die Furcht vor Krebs oder Herzinfarkt oft größer sei als die Angst vor Hunger durch Ernteausfälle. „Das finanzielle Interesse in der Pharmakologie ist viel größer“, so Friml.

In China sehe das aber ganz anders aus: Rund 45 Prozent der medizinisch-biologischen Forschungsmittel der Chinesischen Akademie der Wissenschaften gingen in die Pflanzenforschung. In Europa schätzt er diesen Anteil auf „unter fünf Prozent“. Dementsprechend plagen das Gebiet durchaus auch Nachwuchssorgen, so Friml.

Keine fundierte Diskussion

Sorge bereitet ihm auch der Mangel an inhaltlich fundierter Diskussion etwa über die „grüne Gentechnik“ in Österreich: „Man hat hier sehr starke Meinungen, die oft nicht wirklich auf einem fachlichen Wissen oder Verständnis beruhen. Dann sitzt man am Tisch mit Leuten, die es zwar gut meinen und das beste für die Natur wollen“, aber vielen vorgefertigten Meinungen und Bildern darüber anhingen, „wie schrecklich und gefährlich das ist“.

Vielfach ersticke das den notwendigen Diskurs: „Das ist traurig.“ Das Potenzial in dem Bereich, um einerseits die Nahrungsmittelsicherheit zu erhöhen, aber auch ökologische Landwirtschaft und Bevorratung zu betreiben, sei jedenfalls „unglaublich groß“. Hier müsste auch an Schulen noch viel Aufklärungsarbeit geleistet werden.

START-Preise 2024

Neben dem Wittgenstein-Preis an Friml vergab der Wissenschaftsfonds FWF auch die mit jeweils 1,2 Millionen Euro dotierten START-Preise an acht aufstrebende Spitzenforscherinnen und -forscher. Zu den Ausgezeichneten zählen der Mathematiker Juan Aguilera von der Technischen Universität Wien, Svitlana Antonyuk von der Universität Graz, Dan Batovici von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), der Quantenphysiker Uros Delic von der ÖAW in Innsbruck, Esther Heid von der TU Wien, die Kardiologin Senka Holzer von der MedUni Graz, Polina Kameneva von der St. Anna Kinderkrebsforschung und der Mathematiker Yurii Malitskyi von der Universität Wien.

Die START-Preise wurden heuer zum letzten Mal verliehen, ab 2025 sollen die neuen ASTRA-Preise fortgeschrittenen Postdocs den Sprung an die Spitze ihres Forschungsfelds ermöglichen.

Quelle:

Auszeichnung: Wittgenstein-Preis an Pflanzenbiologen Friml – science.ORF.at

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