von Alfred Bankhamer

Peter Palese, 1944 in Linz geboren, gilt als einer der meistzitierten Virologen der Welt. Er arbeitet an der Icahn School of Medicine at Mount Sinai in New York City, einer der besten Kliniken und Forschungseinrichtungen in den USA. Der Linzer, der in New York an einem für die ganze Welt leistbaren Corona-Impfstoff forscht, über neue Mutationen, die Eigenheiten von Pandemien sowie einen Impfstoff, der auf Dauer gegen alle Grippeviren wirken soll.

Trend: Ihre Heimatstadt New York, in der Sie die Mikrobiologie an der Icahn School of Medicine at Mount Sinai leiten, wurde am Beginn der Pandemie besonders hart getroffen. Wie sieht es jetzt aus?
Peter Palese: Unser Spital wurde früh zu einem Zentrum des Infektionsgeschehens. Wir hatten über 2.000 Patienten und 80 Tote pro Tag. Die Kühlwagen standen Schlange vorm Spital. Es war furchtbar. Nun sieht es sehr gut aus. Es sind nun schon über 50 Prozent aller Erwachsenen geimpft. Das ist eine fantastische Zahl.

Das wirkt sich schon stark auf das Leben in der Stadt aus?
Absolut, die Leute sind nun wieder viel zuversichtlicher. Man kann wieder Restaurants und Geschäfte besuchen, wenn auch noch einige Geschäfte zugenagelt sind, da es noch Probleme mit Unruhen und Demonstrationen gibt. In meinem Labor wurden wir vor über zwei Monaten geimpft, um normal arbeiten zu können. Unsere rund 200 Wissenschaftler hatten gleich zum Pandemiebeginn alle laufenden Projekte liegen lassen und durften sich nur mehr mit dem Virus beschäftigen. Nun wird auch wieder in allen Bereichen geforscht.

Wie bewerten Sie die aktuelle Covid-19-Lage? In Ländern wie Israel oder auch bei Ihnen in New York wird der Weg Richtung Normalität beschritten. In Ländern wie Indien oder Argentinien explodieren die Infektionszahlen.
Das israelische Beispiel ist sicher einzigartig. Man muss der politischen Führung Anerkennung zollen, dass so eine große Anzahl an Leuten rasch geimpft wurde. Selbst die rund 120.000 Gastarbeiter aus Palästina wurden geimpft, natürlich nicht nur aus philanthropischen Gründen. Die Daten von zehn Millionen Menschen, die in Israel leben, sind auch eine fantastische Quelle, die uns in der Forschung sehr viel weiterhilft.

Alle Impfstoffe die wir im Westen haben schützen gegen alle Varianten.

Große Sorgen bereiten wieder neue Varianten des Coronavirus. Weiß man schon mehr über die neue indische Mutante B.1.617?
Wir machen in Indien auch Studien für unseren eigenen Impfstoff. Aber es ist sicher noch zu früh, zu dieser Doppelmutante eine Angst-oder Beruhigungsmeldung zu geben. Die ganze Variantenfrage ist noch stark in Diskussion. Im Großen und Ganzen schützen aber alle Impfstoffe, die wir im Westen haben, gegen alle Varianten.

Kürzlich sorgte auch eine New-York- Variante für Aufsehen. Hat sich diese stark bemerkbar gemacht?
Soweit ich weiß, nicht. Es gibt aber schon alle möglichen Varianten des Covid-19- Virus. Diese Entwicklung kann man aber mit einer gewissen Gelassenheit betrachten. Wichtiger wäre aktuell, statt über Varianten und höchst unwahrscheinliche Nebenwirkungen zu diskutieren, dass wirklich alle die Möglichkeit einer Impfung erhalten.

Wird es künftig eine dauerhafte Immunisierung gegen Corona geben? An einem Universalimpfstoff gegen die Grippe arbeiten Sie ja schon länger…
Aktuell ist ein Universalimpfstoff gegen die Coronaviren leider nicht am Horizont. Wir werden längere Zeit eine regelmäßige Auffrischung benötigen.

Die Gefahr einer schweren Nebenwirkung ist weit geringer als vom Blitz getroffen zu werden.

Corona wird uns also wie die Grippe dauerhaft begleiten?
Die Geschichte der Pandemien zeigt viele mögliche Entwicklungen auf. Wenn Sie sich etwa anschauen, was 1918 mit der Influenza (die Spanische Grippe hat rund 100 Millionen Tote weltweit verursacht, Anm.) passiert ist: Da gab es auch drei Wellen und dann ist es relativ milde weitergegangen. Ich halte es da mit dem Spruch des Physikers Niels Bohr:“Voraussagen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen.“

Unser Wissen ist auch nach Jahrzehnten der Forschung noch immer sehr gering?
Vieler meiner Kollegen, die schon längere Erfahrung mit pandemischen Viren haben, sind sehr vorsichtig mit Voraussagen. Jetzt ist es vor allem wichtig, dass die Bevölkerung irgendeinen Impfstoff bekommt. Das zu vermitteln, wäre auch die Aufgabe der Politiker und Journalisten. Die Gefahr, bei der Impfung eine wirklich schwere Nebenwirkung zu bekommen, ist weit geringer, als vom Blitz getroffen zu werden oder auf der Wiener Ringstraße überfahren zu werden.

Die Schwere einer Infektion ist nach einer Impfung wesentlich geringer.

In Wien wurde eine Antikörperstudie an Covid-19-Erkankten durchgeführt. Bei zwei Drittel der Untersuchten sind die Antikörper schon stark zurückgegangen, einige hatten sich erneut angesteckt. Auch die Wirkung der Impfung soll mit der Zeit abnehmen …
Ich möchte nicht abstreiten, dass man sich wieder infizieren kann. Aber die Schwere der Infektion ist dann sicher wesentlich geringer. Es bedeutet viel, wenn man dann keinen Sauerstoff benötigt oder gar stirbt. Diese Punkte sind allein schon ein großer Erfolg der Impfungen. Und selbst wenn die Antikörper über die Zeit stark abnehmen und der Titer nicht mehr nachweisbar ist, ist meiner Ansicht nach noch immer ein gewisser Schutz da.

Das noch wenig erforschte Immungedächtnis reagiert dann auf neue Angriffe?
Ja, genau.

Gibt es zur Antikörperentwicklung genauere Studien, etwa in den USA oder Israel?
Da gibt es sehr viele, die man aber nicht direkt vergleichen kann. Wir haben beispielsweise am Mount Sinai Geimpfte untersucht, die noch keine Covid-19-Erkrankung hatten. Von denen wurden 95 Prozent nicht infiziert.

Die Virusjäger

An der Icahn School of Medicine at Mount Sinai in New York arbeiten einige der renommiertesten Virologen der Welt. Neben Peter Palese besonders auch der österreichische Biochemiker Florian Krammer, der ein eigenes Labor leitet, oder Adolfo García-Sastre, Leiter des Global Health and Emerging Pathogens Institute. Gemeinsam forschen sie etwa am Coronavirus und haben einen Covid-19-Impfstoff entwickelt, der gerade klinisch getestet wird. Für großes Aufsehen sorgt auch ihr Projekt für einen universalen Grippeimpfstoff, der sich ebenfalls in der klinischen Testphase befindet. Die 1963 gegründete Universität zählt zu den besten Ausbildungsplätzen für Mediziner und Biowissenschaftler in den USA, hat über 6.000 akademische Mitarbeiter, über 900 Studierende sowie ein Jahresbudget von 1,7 Milliarden Dollar (2017).

Die Pandemie hat leider auch noch viele weitere Folgen, wie etwa eine Insolvenzwelle in New York. Da stellt sich die Frage, ob es einen goldenen Mittelweg gibt, um auch Bereiche wie Wirtschaft und Soziales optimal zu managen.
Da geht es um die Quadratur des Kreises. Dieses Problem zu lösen haben schon gescheitere Leute versucht. Das ist sehr schwierig.

Gab es schon Vergleichbares in der Vergangenheit?
Man sagt, die Geschichte wiederholt sich, aber im Prinzip sind die Bedingungen immer anders. 1918 hat die Influenza weltweit wahrscheinlich 100 Millionen Menschenleben gekostet. Und selbst noch in den ersten 20 Jahren des 20. Jahrhunderts starben über 300 Millionen Menschen an Pocken. Das wissen sehr wenige Leute. Die gute alte Zeit war bei Gott nicht so gut. Selbst bei den Habsburgern starben über einen Zeitraum von 200 Jahren zehn bis 20 Prozent der Familienmitglieder an Pocken.

Wie oft werden wir in nächster Zeit solche Pandemien erleben? Mehr Stress in der Umwelt soll die Gefahr von Zoonosen und neuen Viren beschleunigen. Werden sie häufiger?
Das kann man schlicht nicht sagen. Bislang konnte noch nie eine Pandemie vorausgesagt werden.

Unseren Impfstoff wird es unter einem Dollar pro Dosis geben.

Sie forschen gerade an einem kostengünstigen Covid-19-Impfstoff. Welche Fortschritte gibt es?
Wir entwickeln mit einem Team von rund 60 Leuten einen Vektorimpfstoff, der anstatt des in Säugetieren vorhandenen Adenovirus wie bei AstraZeneca oder Johnson &Johnson auf das Hühnervirus Newcastle setzt, das das genetische Material eines SARS-CoV-2-Spike-Proteins enthält. Das hat den großen Vorteil, dass das menschliche Immunsystem dieses für Menschen harmlose Hühnervirus nicht kennt und somit besser wirkt. Diese Art von Impfstoffen ist sehr sicher und wurde schon über 100 Millionen Menschen etwa in Influenzaimpfungen oder in Form von Krebsmitteln verabreicht. Klinische Studien laufen bereits.

Es gibt nun schon einige Impfstoffe am Markt. Ist es nun nicht schon ziemlich spät?
Für viele Länder sind die aktuellen Impfstoffe nicht leistbar. Unseren wird es unter einem Dollar pro Dosis geben. Wir können zudem die Produktionsstätten für Influenzaimpfstoffe nutzen, und unser Impfstoff bleibt bei normalen Kühlschranktemperaturen von zwei bis vier Grad Celsius über Wochen sehr stabil.

Sie forschen mit Kollegen auch an einem universalen Impfstoff gegen die Grippe. Gibt es hier Fortschritte?
Hier laufen ebenfalls klinische Studien. An der Oberfläche des Influenzavirus gibt es sehr viele Veränderungen, weshalb jedes Jahr neue Anpassungen des Impfstoffes erforderlich sind. Wir haben uns deshalb auf den Stamm des Virus konzentriert – ähnlich wie bei Pilzen -, der sich nicht verändert. Die erste Phase einer klinischen Studie zeigt schon gute Daten. Unser Ansatz würde gegen alle Influenzaviren funktionieren und ein Ende des jährlichen Nachimpfens bedeuten.

Die große Frage ist nun, was im kommenden Jahr passieren wird.

Wobei aktuell die klassische Grippe gar kein Thema ist. Eine Grippewelle ist ja dieses Jahr völlig ausgeblieben. Kann man das wissenschaftlich erklären?
Es gibt ein wirklich verrücktes Phänomen. Neue Daten zeigen, dass es in den ersten drei Monaten dieses Jahres in Amerika 100-mal weniger Krankenhausaufenthalte aufgrund von Grippeerkrankungen und 100-mal weniger Grippetote gegenüber dem Vorjahr gab. Das ist unglaublich und schwer zu erklären. Einige sagen, das habe mit den Masken und Social Distancing zu tun. Eine andere Vermutung ist die sogenannte Interferenz, also dass Coronaviren die Influenzaviren verdrängen. Die große Frage ist nun, was im kommenden Jahr passieren wird: Wird die Influenza nächstes Jahr wieder stark ansteigen, da es heuer keine gab und somit die Leute weniger Antikörper haben? Da ist die Wissenschaft noch nicht so weit: Die Wechselwirkung zwischen normalen Respirationsviren, Influenzaviren und Covid-19 muss noch umfassend erforscht werden.

In der Corona-Pandemie ist sehr viel Geld in die Impfstoffentwicklung geflossen. Die Gefahr von Coronaviren war ja schon länger bekannt und an SARS-CoV-1 (2002) und MERS-CoV (2012) wird schon lange geforscht. Wurde bislang zu wenig in die Grundlagenforschung investiert?
Ja, natürlich will ich mehr Geld haben. Aber im Prinzip ist das ein sehr schwieriges Thema. Es gibt auch zehn oder mehr Viren, die ganz neu sind, aber nicht die ganze Welt infizieren. Entwicklungen sind hier sehr schwierig vorherzusagen.

Was wäre passiert, wenn uns die Pandemie zehn Jahre früher getroffen hätte?
Ohne die Fortschritte in der Biotechnologie hätten wir heute eine unvorstellbar größere Katastrophe.

Peter Palese, der Virenforscher

Peter Palese © beigestellt

Peter Palese, 1944 in Linz geboren, gilt als einer der meistzitierten Virologen der Welt. Er arbeitet aktuell an der Icahn School of Medicine at Mount Sinai, einer der besten Kliniken und Forschungseinrichtungen in den USA. Seit 1987 leitet er dort das Department of Microbiology und forscht mit sehr renommierten Kollegen wie beispielsweise dem österreichischen Mikrobiologen Florian Krammer und dem spanischen Virologen Adolfo García-Sastre, die alle eigene Forschungsgruppen am Mount Sinai leiten, nicht nur an Covid-19 und einem eigenen, sehr stabilen und günstigen Corona-Impfstoff, sondern auch an der lang ersehnten universellen Impfung gegen die Grippe. An der Influenza sterben weltweit jedes Jahr Hunderttausende Menschen, und Pandemien wie die Spanische Grippe im Jahr 1918 sorgten für wahrscheinlich 100 Millionen Tote. Für beide Impfstoffe von Mount Sinai laufen aktuell klinische Tests.

Palese gilt als einer der wichtigsten Pioniere bei der Erforschung der Biologie und Genetik von Viren sowie bei der Impfstoffentwicklung. Er hat über 400 wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht, zahlreiche Patente erhalten und einige Biotechunternehmen gegründet. Sein Spezialgebiet sind RNA-Viren wie etwa Influenza A, B und C, für die er als erster genetische Karten erstellt hat.

Aber auch Paramyxo- oder Coronaviren zählen zu dem Arbeitsgebiet seiner Forschungsgruppe. Er konnte die Funktion mehrerer viraler Gene identifizieren, definierte den Mechanismus von Neuraminidase-Inhibitoren (sie dienen heute für virustatisch wirkende Medikamente) und leistete Pionierarbeit auf dem Gebiet der reversen Genetik (entgegen der klassischen Genetik wird hier nicht von einem Phänomen ausgegangen, um dann das Gen zu erforschen, sondern ein Genabschnitt verändert, um dessen Funktion zu bestimmen). Diese Technik ist sehr wichtig für die Entwicklung und Herstellung neuartiger Impfstoffe wie aktuell gegen Covid-19. Palese hat mit dieser Technik mit Kollegen etwa auch das pandemische Influenzavirus von 1918 rekonstruiert und untersucht.

Die berufliche Karriere startete Palese mit dem Studium der Chemie und der Pharmazie an der Uni Wien, das er 1969 bzw. 1970 mit einem Doktorat abschloss. Seine Eltern hatten eine Apotheke in Linz. Als Doktorvater hatte er den renommierten Biochemiker Hans Tuppy, der später Wissenschaftsminister wurde. „Hans Tuppy hatte ein sehr gutes Labor und war ein ausgezeichneter Lehrer. Ich habe wirklich sehr gute Erinnerungen an die Ausbildung in Wien“, so Palese. 1971 kam der junge Biochemiker als Assistenzprofessor an die Mount Sinai School of Medicine in New York, wo er rasch Karriere machte. Schon 1974 wurde er zu einem Associate Professor und mit 34 Jahren „ganz ohne Vitamin B“ zum Professor für Mikrobiologie ernannt. Seit 1987 leitet er das Department für Mikrobiologie. „Ich bin eigentlich in alles hineingeschlittert. Es gab keine große Planung“, so das Ausnahmetalent. In die USA lockten ihn besonders die Prinzipien der Freiheit und Selbstverwirklichung. An die Mount Sinai School of Medicine kam er, weil zwei seiner Arbeiten auffielen.

Sein wissenschaftliches Werk wurde schon mit zahlreichen Auszeichnungen gewürdigt. Palese ist Mitglied der National Academy of Sciences (USA), der National Academy of Medicine (USA) und der American Academy of Arts and Sciences. Er erhielt den Sanofi-Institut Pasteur Award und den Robert-Koch-Preis (Berlin) und ist Mitglied der deutschen Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Ein Leben in Österreich kann er sich nicht mehr vorstellen. Drei-bis viermal im Jahr besuchte er vor Corona Österreich, gibt gelegentlich Gastvorträge. Aber vor allem kommt er, um im Urlaub die Naturlandschaft am Attersee mit seiner Familie zu genießen. Palese hat zwei Söhne und eine Tochter: „Ich bin sehr stolz auf meine Kinder. Ein Sohn arbeitet als Arzt in Mount Sinai, meine Tochter ist Ärztin in Washington und mein drittes Kind arbeitet bei einer Hightech-Company.“ An den Ruhestand will der 77-jährige Forscher jedenfalls noch nicht denken. Da interessieren ihn noch zu viele ungeklärte Fragen besonders im Reich der Viren, deren Erforschung er sein ganzes Leben gewidmet hat.

Quellen:

https://www.trend.at/branchen/gesundheit-medizin-pharma/virenforscher-peter-palese-impfen-12051198

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